[ Navigation beginnen ]>>Navigation überspringen[ Navigation beenden ]
Wählen Sie bitte eine Kategorie aus
Interview mit einem ASB-Wunscherfüller

Michael Golly begleitet Todkranke auf Wunschwegen

Ob Timmendorfer Strand, die Pfalz, die Ostfrieseninsel Spiekeroog, das nordrhein-westfälische Bad Salzuflen, Wrestedt in der Lüneburger Heide oder ein Abstecher ans Steinhuder Meer – Michael Golly ist in den letzten anderthalb Jahren ordentlich rumgekommen. Denn er hat junge und alte Fahrgäste des niedersächsischen Wünschewagens an ihre ganz großen Sehnsuchtsorte begleitet. Seit Juli 2019 ist der 23-jährige Student und Rettungssanitäter aus Hannover ehrenamtlich als Wunscherfüller unterwegs. 13 besondere „Reisen“ hat er seitdem möglich gemacht, sechs allein in diesem Jahr. Wir möchten ihn – stellvertretend für all die weit über 140 wunderbaren Menschen aus allen Teilen des Bundeslandes, die sich in unserem Herzensprojekt engagieren – einmal vorstellen.

         Wie bist du zum ASB-Projekt „Der Wünschewagen“ gekommen?

 Das war relativ spontan. Ich hatte gerade als Hauptamtlicher beim ASB in Hannover angefangen, da bin ich auch dem Flur vom Wünschewagen-Team regelrecht „überfallen“ und gefragt worden, ob ich als zweiter Wunscherfüller bei einer ganz kurzfristig geplanten Fahrt einspringen könne, die sonst abgesagt hätte werden müssen. Ich habe gar nicht lange überlegt und zugesagt.

 13 Mal warst du schon als Wunscherfüller im Einsatz – gab es für dich in dieser Zeit einen besonders schönen, in Erinnerung bleibenden Wunschfahrtmoment?

 Absolut. Im Juni habe ich Fritz aus Hannover, seine Frau und die beiden Söhne Maurice und Marcel nach Spiekeroog begleiten dürfen. Da hat einfach alles gepasst: Das gesamte Setting, die Kommunikation zwischen uns, die vielen tollen Momente auf der Insel. Besonders in Erinnerung aber ist mir die ergreifende Situation geblieben, als wir zu viert den alten, schwerkranken Herrn gut 500 Meter mit dem Tragestuhl zur Wasserkante getragen haben. Zurück wollte er dann unbedingt gehen. Er hat all seine Kräfte mobilisiert und ist den langen Weg durch den Sand Arm in Arm mit „seinen beiden Jungs“ zurückgelaufen. Die Bilder von der Fahrt sprechen Bände. Und auch nach der Fahrt gab es einen schönen Moment: Der nämlich, als uns von der Familie rückgemeldet wurde, dass Fritz auch noch vier Wochen nach der „Reise“ viel aktiver und glücklicher als vorher war – bis er dann schließlich loslassen konnte.

 Was treibt dich als junger Mann an, sterbenskranke Menschen auf ihren Wunschwegen zu begleiten?

Man lernt mit meist älteren, lebenserfahrenen Menschen die Orte kennen, die ihnen am liebsten waren. Die eine Bedeutung für sie haben. Ich bekomme während der Wunschfahrten die Gelegenheit, in ihre Geschichte einzutauchen. Und ich begegne ganz besonderen Menschen, die ich im Alltag sonst nie kennen gelernt hätte. Ganz klar: Die Mitarbeit beim Wünschewagen ist in meinem Leben die ehrenamtliche Tätigkeit mit dem tiefsten Sinn der Nächstenliebe und Menschlichkeit, das Ehrenamt, was mich am Meisten erfüllt.

 Ganz ehrlich? Gibt es Menschen, bei denen es dir schwerfallen würde sie zu begleiten?

Nein, eigentlich nicht. Das ist eine Erfahrung, die ich machen durfte, und die ich auch immer neuen Wunscherfüller-Kollegen mit auf den Weg gebe: Offen bleiben! Es gab schon Wunschfahrten, bei denen ich vorher beim Lesen der Fahrtunterlagen gedacht habe – „Oh, das wird schwierig…“. Und das war es dann gar nicht. Umgekehrt genauso. Wichtig ist, dass man sich auf jeden Fahrgast besonders und individuell einstellt. Ich kann aber auch gut verstehen, wenn Jemand sagt, dass er beispielsweise keine kleinen Kinder oder Mehrfachbehinderte fahren möchte. Ganz einfach, weil ihm der Zugang fehlt oder man sich diese Aufgabe nicht zutraut.

 Was hilft dir, belastende Situationen besser wegzustecken?

 Ich suche das Gespräch mit Wunscherfüllern, mit denen ich schon Fahrten gemacht habe und zu denen ein Vertrauensverhältnis besteht. Mit denen tausche ich mich aus. Reden hilft! Außerdem weiß ich, dass ich mich auf meine Ausbildung und meine Erfahrung verlassen, dass ich den Wünschewagen in- und auswendig kenne. Ich bin gut vorbereitet. Das gibt mir Sicherheit. Und ich weiß, dass die Hauptamtlichen vom Wünschewagen darauf achten, dass die Teams bestenfalls immer aus einem Rettungssanitäter und einer Pflegekraft bestehen – mit so einem „Dream-Team“ ist man in fast allen überraschenden Ereignissen an Bord gut gerüstet.

 Wenn nun Jemand Wunscherfüller werden möchte – was sollte dein zukünftiger „Kollege“/ deine „Kollegin“ neben der fachlichen Qualifikation mitbringen?

Das ist eine ganze Menge: Einerseits Offenheit gegenüber dem Fahrgast und den Wunscherfüller-Kollegen. Man sollte sich auf Neues einstellen können, nicht zu große Erwartungen an den Fahrgast und seine Familie haben. Auch sollte man ein hohes Maß an Kommunikations- und Reflexionsfähigkeit mitbringen, weil man sich im Team knallhart und ehrlich austauschen können muss – auch in kritischen Situationen. Und auf der anderen Seite sollte man dringend Einfühlungsvermögen und – ich nenne es mal - den „Geist vom Wünschewagen“ mitbringen.  Man agiert eben nicht nur medizinisch. Dieser „Dienst am Menschen“ beim Wünschewagen ist viel mehr, als man das aus dem Rettungsdienst oder der Pflege kennt, bei der man nach zehn, fünfzehn Minuten den Patienten wieder abgibt. Man kommt sich viel, viel näher, taucht intensiv ein. Da muss man schon menschlich und fachlich stark sein! Auch sollte man Lust dazu haben, zu organisieren. Denn zwischendrin kommt es immer wieder zu Situationen, bei denen man umplanen muss. In der Pfalz haben wir zum Beispiel ganz spontan auf einen Wunsch unsers Fahrgastes reagiert und sie in die Weinberge gebracht. Natürlich muss da ein Abendessen verschoben, muss neu geplant werden, darf man sich nicht an starren Fixpunkte „lang hangeln“.